ALI’s KRITIKEN
Theater- und Filmkritiken von Rainer Allgaier
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Kruder Psycho-Schocker:'Die Gezeichneten' in der Komischen Oper Berlin**

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Kategorie: Theaterkritiken
Veröffentlicht: 02. Februar 2018
Zugriffe: 111

Die Gezeichneten Komische Oper 2 300x200Im Frühjahr 1918 wurde diie Oper "Die Gerechten" des östereichischen Komponisten Franz Schreker in Frankfurt/Main uraufgeführt und wegen ihrer musikalischen Pracht und dem delikaten Thema mit großem Erfolg vielfach nachgespielt  - bis zum Verbot durch die Nazis. Erst 1979 kam es zur Wiederentdeckung des vergessenen Werkes - wiederum in Frankfurt/Main. Schreker, der sein eigener Librettist war, erzählt darin die tragische Geschichte des häßlichen Adligen Salvago, der im 16.Jahrhundert vor der Stadt Genua auf einer Insel ein freizügiges Liebes-Paradies für die reiche Jugend der Stadt erschaffen hat. Fasziniert von seiner Häßlichkeit porträtiert ihn die kranke Malerin Carlotta, in die sich Salvago während der Sitzungen dann prompt verliebt. Doch Carlotta schenkt ihre Gunst seinem attraktiven Freund und Lebemann Tamare und so scheint eine Katastrophe vorgezeichnet...

Jetzt stellt die Komische Oper das inzwischen hundertjährige Musikdrama auch in Berlin zur Diskussion und zwar in einer Inszenierung des katalanischen Skandal-Regisseurs Callisto Bieto, der vor einigen Jahren mit einer umstrittenen "Entführung aus dem Serail" von Mozart am Haus in der Behrenstraße debütierte.

Bieto hat die alte Geschichte im Heute angesiedelt und sie deshalb geändert und neu motiviert. Salvago in nicht mehr äußerlich häßlich, sondern innerlich: er ist pädophiel, die Liebesinsel mausert sich zum makabren Kinderspielplatz. Zugleich leidet Salvago am "Peter-Pan-Syndrom", das heißt: er will nicht älter werden und immer kindlich bleiben. Deshalb klammert er sich häufig an Puppen oder Stoff-Teddys. Diese neue psychologische  Motivation der Hauptperson hat aber zur Folge, daß das Liebesdrama um Carlotta und den Macho-Freund Tamare zur Nebenhandlung schrumpft und unlogisch wirkt. Entsprechend muß Bieto auch den Schuß der Oper ändern - das schon im Original nicht sehr überzeugende Textbuch mißrät nun zum kruden und unglaubwürdigen Psycho-Schocker. Verstärkt wird dieser Eindruck durch eine geradezu karge Inszenierung. Bis zur Pause agieren dlle Personen in farblosen Alltags-Anzügen auf der Vorder-Bühne vor einer hellen Wand, auf die schwarz-weiße Videos von Kinder- oder Männer-Gesichter projeziert werden. Nach der Pause dreht sich die Wand weg und gibt den Blick auf das düstere Kinder-Elysium frei: eine rote Miniatur-Eisenbahn, bewegliche Leucht-Gitter-Stäbe und jede Meng herabhängender Teddys bieten zwar etwas mehr szenische Farbigkeit, aber kaum  mehr Durchblick auf die wirre Handlung.

Triumphieren können dagegen die Musiker des riesigen Orchesters der Komischen Oper, die unter der Leitung des erfahrenen Österreichers Stefan Soltesz die üppige Musik Schrekers auf faszinierende Weise zum Klingen bringen. Das schillert und leuchtet in vielfältigen Farben, rauscht in mächtigen Aufschwüngen oder glänzt in zarten Tönen. Die Stimmen der Sänger wedern dabei gleichsam wie ein vocales Instrument eingebettet, mal deklamatorisch, mal arios. Die Musik gleicht einem großen, fliesendem Strom, glühend und glitzernd, gleichsam wie eine vorweggenommene Film-Partitur aus Hollywood.

Der englische Tenor Peter Hoare verkörpert mit hellem, geschmeidigem Tenor den pädophiel-kindlichen Salvago, Michael Nagy mit markantem Spiel und kernigem Bariton seinen machohaften Gegenspieler Tamare. Als Malerin Carlotta vermag die Litauerin Ausrine Stundyte nur darstellerisch zu überzeugen, da ihr Sopran sehr vibratoreichen ist und duch zu scharfe Höhe oft stört.. Die vielen kleineren Nebenrollen  werden vom umfangreichen Ensemble der Komischen Oper solide gemeistert.

Schade, trotz der aparten Musik von Franz Schreker -  durch Bearbeitung und Inszenierung werden diese "Gezeichneten" zum  problematischen,  fast drögen Abend!

Foto: Michael Nagy (Tamare) u. Peter Hoare (Salvago) / Komische Oper Berlin  / Iko Freese/drama-berlin.de

Premiere: 21.Januar 2018, weitere Vorstellungen: 22.Jan./ 1./10./18.Febr.2018

 

Taff: 'Three Billboards outside Ebbing, Missouri****

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Kategorie: Filmkritiken
Veröffentlicht: 30. Januar 2018
Zugriffe: 163

Billboard2Ebbing: eine fiktive, aber typische amerikanische Kleinstadt im Mittelwesten. Die ältere, kratzbürstige Mildred Hayes kocht vor Wut:  fast ein Jahr ist es her, daß ihre Tochter vergewaltigt und ermordet wurde und noch immer hat die Polizei keinen Täter ausfindig gemacht. Sie entschließt sich zu einem außergewöhnlichen Mittel. Auf drei großen, hintereianderstehenden Plakatwänden an einer Zufahrtsstraße  klagt sie an: "Im Sterben vergewaltigt" - "Immer noch keine Festnahme" - "Wie kommt's Chief Willoughby?".

Die Kleinstadt gerät in Aufruhr, allen voran die Polizei und ihr Cef Willoughby, der - wie jeder weiß - an Bauchspeichel-Krebs leidet. Doch Mildred, die mit ihrem fast erwachsenen Sohn ein bescheidenes Dasein in einem Souvenir-Laden bestreitet, bleibt stur, auch wenn sie nun von vielen Einwohnern wegen dieser Plakate geächtet wird. Dem biederen älteren Pfarrer, der sie umstimmen will, hält sie kurz und knapp dessen - durch Nichtstun bewirkte - indirekte Mitschuld an den Missbräuchen der Kirche an jungen Messdienern vor. Dem fetten Zahnarzt, der sie denunziert hat, lenkt sie tatkräftig den Bohrers von ihrem Zahn auf dessen Daumen. Mit scharfem Witz und gelegentlich kräftiger Faust setzt sie ihren verstörenden "Kampf" gegen das scheinbar tatenlose Verhalten der Polizei fort. Auch wenn sich der kranke Willoughby als durchaus vernünftiger Mann erweist, der ihr die Schwierigkeiten der Tätersuche klarmacht und der auch die massiven Vorurteile seiner Untergebenen, die mit Vorliebe Schwarze prügeln, klar erkennt:  "Wenn Sie sämtliche Cops mit rassistischen Tendenzen entlassen würden, bleben vielleicht drei übrig - und die wären Schwulenhasser". Doch als Willoughby seinem Leben ein Ende setzt, beginnen die Ereignisse in Ebbing sich zu überschlagen...

Der Film des irischen Regisseurs Martin McDonagh ("Brügge sehen...und sterben?") chargiert auf brillante Weise zwischen Komödie und Drama, zwischen schwarzem Humor und echtem Pathos. Und zeichnet zugleich das Bild der heutigen, gespaltenen (US-)Gesellschaft. Die Rollen von Opfern und Täter wechseln ständig, jede Figur hat ihre Macke, aber auch einen Zug Menschlichkeit. Das Drehbuch mit seinen immer wieder verblüffenden  Umbrüche und Wendungen, die witzig-schlagfertigen Dialoge in unverblümter Umganssprache, die bewegliche Kamera, die auch schöne Naturbilder einfängt, Schnitt, Musik, Ausstattung  -  alles zusammen ergibt einen ebenso kritischen wie unterhaltsamen Film.  Auch wenn im letzten Drittel die Story etwas überdreht wirkt und das versöhnliche Ende allzu vorhersehbar arrangiert ist.

Doch der Clou sind die drei exzellenten Darsteller der Hauptrollen. Frances McDormand als ebenso schlagfertige wie starrsinnige Mutter und rechtsbewußte Bürgerin Mildred Hayes, Woody Harrelson als der sarkastische, krebskranke Polizeichef Willoughby, der sich stolz selbst aufgibt, sowie Sam Rockwell als Sagent Dixon, ein  agressiver, spießiger Zeitgenosse voll rassistischer wie homophober Vorurteile.

Alle drei Schauspieler sind  - in unterschiedlichen Kategorieen - für den diesjährigen Oscar nominiert - ebenso wie Drehbuch, Schnitt, Musik und der Film als Ganzes.

Kluges, attraktives Kino aus Hollywood.

Poster/Verleih: Fox Deutschland

zu sehen u.a.: Babylon Kreuzberg (OmU); CinemaxX Potsdamer Platz; CineStar Sony Center (OV); Titania Palast Steglitz; Delphi Filmpalast; Delphi LUX (OmU); Filmtheater am Friedrichshain (OmU und dt.); fsk (OmU); Hackesche Höfe Kino (OmU); International (OmU und dt.); Kino in der Kulturbrauerei (OmU und dt.); Neues Off (OV); Odeon (OmU); Passage Neukölln (OmU); Kinowelt Colosseum; Yorck

Überfrachtet: 'Carmen' in der Deutschen Oper Berlin***

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Kategorie: Theaterkritiken
Veröffentlicht: 25. Januar 2018
Zugriffe: 114

carmenDOBVor einiger Zeit ließ der norwegische Regisseur Ole Anders Tandberg in der Deutschen Oper die "Lady Macbeth" von Sckostakowitsch ihre Untaten in einer Fischfabrik verüben, jetzt entpuppt sich in seiner Neuinszenierung von Georges Bizets "Carmen" die berühmte Spanierin als Mitglied einer modernen Maffia-Bande, die mit menschlichen Organen schlimmen Handel treibt.  Dementsprechend legt Carmen keine (Spiel-)Karten, sondern sortiert Nieren. Die riesige Dehbühne zeigt mal eine steil ansteigenden Arena-Tribüne, die auch als Tabakfabrik oder Kneipe dienen kann, mal eine dahinter befindliche, hohe Latten-Wand, an der die herumlungernden Soldaten bis zum Umfallen onanieren, um dann abgeschleppt und ausgeschlachtet zu werden. Auch Escamillo, der schmerbäuchige Torero im weiß-goldenen Glitzer-Dress, liebt es fleischlich: schneidet dem toten Stier die Hoden ab und überreicht sie zum Zweck der Anbahnung der freundlich nickenden Carmen als galante Aufmerksamkeit. Natürlich endet der verbrecherische Maffia-Handel in der Katastrophe: der mutterfixierte und von Carmen verlassene Don José ersticht im Eifersuchts-Rausch die coole Geliebte, reißt ihr das Herz aus der Brust und streckt das blutige Teil mit erhobenem Arm dem Publikum entgegen: Black out! 

Regisseur Tandberg hat sich eine kurde Mischung aus Kritik an heutigen gesellschaftlichen Zuständen und ironischem Spiel mit althergerachten Opern-Konventionen ausgedacht und zu einer symbolisch aufgeladenen Bilder-Revue arrangiert. So tragen eispielsweise die Maffia-Schmuggler modisch-elegante Smokings, Carmen jedoch präsentiert sich in altmodischen, roten Rüschen. Das gedankliche Konzept ist überladen und verkrampft, die szenische Bilder oft überdreht und undurchsichtig - und dennoch im theatralischen Arrangement und der Personenführung immer wieder durchaus effektvoll. Auch trotz aller technischen Behinderungen der Bühnenmaschinerie, die seit dem Wasser-Einbruch an Weihnachten nur eingeschränkt nutzbar ist.

Glücklicherweise überspielen Musiker und Sänger-Ensemble diese fragwürdige Blut- und Hoden-Ästhetik mit viel Temperament und guten Stimmen. Schmissig leitet der kroatische Dirigent Ivan Repusic das klangvolle Orchester - wenn auch gelegentlich etwas zu pauschal, präzise haben Jeremy Bines und Chistian Lindhorst den prachtvollen Chor und den Kinderchor einstudiert. Heidi Stober befreit mit klarem Sopran und resoltutem Handeln die unglücklich liebende Verlobte Micaela vom Klischee des spießig-braven Mädchens - trotz ihres biederen  50er Jahre Outfits. Der Amerikaner Charles Castronuovo spielt als Don José regiegemäß einen etwas milchbubi-haften Serganten, musikalisch gestaltet er höcht eindringlich den verzweifelt Liebenden - mit einem in allen Lagen ansprechenden, leicht italienisch gefärbten heldischen Tenor: eine Idealbesetzung. Größte Erwartungen galten der Französin Clémentine Margaine als Carmen. Sie besitzt einen satten, volltönenden Mezzo, ist darstellerisch sehr beweglich und stimmtechnisch äußerst nuancenreich und nahezu perfekt - doch das große faszinierende und mitreißende Charakter-Porträt rundet sich nicht ganz  -  diese Carmen bleibt zu kühl, nüchtern und bodenständig. Trotzdem: fürs Publikum eine Augenweide und ein musikalischer Genuß.

Am blutigen Ende nach über drei Stunden die erwartbare Reaktion: Buhs für die Regie, begeisteter Jubel für Sänger und Musiker.

Foto: Deutsche Oper Berlin / Marcus Lieberenz/bildbühne.de

Premiere: 20.Januar 2018, weitere Vorstellungen: 24./27.Jan.// 4./10.Febr. 2018

Schmissig: 'Märchen im Grand-Hotel' in der Komischen Oper Berlin****

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Kategorie: Theaterkritiken
Veröffentlicht: 02. Januar 2018
Zugriffe: 138

MärchenEine schöne  Ausgrabung: die Operette "Märchen im Grand-Hotel" von Paul Abraham, die nachdem der Komponist Berlin 1933 verlassen mußte, im Jahr darauf ihre Uraufführung in Wien erlebte - ohne größeren Erfolg, da auch schon vor dem "Anschluß" Östereichs eine antijüdische Stimmung sich dortausgebreitet hatte. Abraham floh später über Frankreich und Kuba nach New York, verbrachte die letzten Jahre seines Lebens  allerdings überwiegend in psychiatrischen Kliniken.

Verdienstvoll nun, daß die Komische Oper jedes Jahr in der Weihnachtszeit ein vergessenes Werk aus der glanzvollen Operetten-Zeit der 20-er und frühen 30-er Jahre des letzten Jahrhunderts wiederbelebt - als attraktives Konzert in Kostüm und Maske. Vor dem geschlossenen, roten Vorhang sitzen die Musiker auf dem überdeckten Orchestergraben, davor - ebenfalls auf Stühlen - die Sänger. Auf der linken Seite ein Flügel, an dem Dirigent Adam Benzwei seine Flinger virtuos über die Tasten gleiten läßt und zugleich lebhafte  Einatzzeichen für Sänger und Musiker gibt.

Das ganze "Märchen im Grand-Hotel" ist geschickt auf pausenlose anderhalb Stunden eingedampft und reiht die musikalischen Nummern wie auf einer Perlenkette aneinander. Was dazwischen sich an Handlung ereignet, schildert als Conferencier im eleganten Frank ganz noncharlant Max Hopp. Zugleich singt und spielt er die männliche Hauptrolle: den verliebten Kellner Albert (dann mit Serviette überm Frack-Arm!). Doch in Wahrheit ist dieser Albert der Sohn des Besitzers des titelgebenden Grand-Hotels an der Cote d'Azur und zudem mit altem Adel verwandt, so daß dem Happy End mit der spanischen Infantin Isabella, die sich mit ihrem Hofstaat im französischen Exil befindet (und außerdem pleite ist) nach einigen Mißverständnissen nichts mehr im Wege steht. Und auch noch - dank der blonden Marylou, der Tochter eine nach frischem Filmstoff suchenden Hollywood-Moguls - das ganze Märchen zu einem großen Filmerfolg mutiert.

Dank der flotten Quicksteps, Foxtrots,Tangos und Walzern von Paul Abraham - noch ganz im Stil von "Victoria und ihr Husar" oder der "Blume von Hawai" - und dank des prächtigen Ensembles aus Musikern und Darstellern wird aus dem "Märchen im Grand-Hotel"  eine ebenso schmissige wie rasante Glitzer-Show auf der Vorderbühne. Und die auch dem Publikum in die Beine fährt...

Neben dem quitrligen Conferencier-Kellner Max Hopp zeigt Talya Lieberman als sopran-süße spanische Prinzessin straffe Haltung, mausert sich  Johannes Dauz als sie begleitender Prinz zum drolligen "Buffo", genießt Tom Erik Lie seine Travestie-Rolle als grotesk-plappernde Hofdame, fiebert Philipp Meierhöfer als Filmmogul mit heftigem Körpereinsatz nach seinem Happy End und triumphiert Sarah Bowden als US-Film-Girl Marylou, die mit socher Verve singt, tanzt und steppt, daß die Bühnenbretter beben. Den dazu passenden Umrahmung mit viel 'Schbi-dubi-du' liefern überzeugend die fünf befrackten Herren des 'Lindenquintetts Berlin'.

Wenn auch "nur" konzertant -  so flott präsentiert, findet die "alte" Operette auch heute noch ihr glückliches Ende  - und das "Märchen im Grand-Hotel" sein begeistertes Publikum.

Foto: Robert-Recker.de/Komische Oper Berlin

Premiere: 17.12.2017; einzige Wiederholung: 30.12.2017

Rachefeldzug eines NS-Opfers: 'Aus dem Nichts" von Fatih Akin****

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Kategorie: Filmkritiken
Veröffentlicht: 02. Januar 2018
Zugriffe: 154

NichtsKatja Sekerci's Mann ist Türke und betreibt nach seiner Haftentlassung - verurteilt wegen Drogenhandel -  ein kleines Büro für Steuerberatung und Übersetzungen in einem Szenenviertel von Hamburg. Dort tötet ihn und seinen kleinen Sohn ein Nagelbomben-Anschlag. Obwohl die Polizei zunächst erfolglos in unterschiedlichen Richtungen ermittelt, vermutet Katja, die kurze Zeit vor der Explosion eine ihr unbekannte junge Frau mit einem Fahrad vor dem Büro beobachtet hat, daß Nazis hinter dem Anschlag stecken. Der Verdacht bestätigt sich einige Zeit später, doch in der Gerichtsverhandlung wird das angeklagte junge Nazi-Paar aus Mangel an eindeutigen Beweisen freigesprochen. Verbittert spürt Katja das Paar an einem winterlich-verlassenem Strand in Griechenland auf und bastelt nun ihrerseits eine Nagelbombe...

Regisseur Fatih Akin, der zusammen mit Hark Bohm auch das Drehbuch schrieb, schildert eine Geschichte, die den grauenvollen NSU-Morden nachempfunden ist. Wobei ihn die Täter und deren politischer Hintergrund nur am Rande interessieren. Ihn beschäftigt ausschließlich die Situation der von Staat und Polizei fälschlich verdächtigten oder im Stich gelassenen Angehörigen. Mit großer Empathie verfolgt er die Empfindungen und Reaktionen Katjas:  zeigt ihren Schmerz, die tiefe seeliche Verwundung durch den Verlust ihrer kleinen Familie, aber auch ihre innere Versteinerung gegenüber Eltern, Freunden und Helfern. Ausnahme ist lediglich ihr Anwalt, dem sie vertraut, bis zum sie "tötlich" treffenden, juristischen Freispruch des Mörder-Paares. Danach sieht sie nur noch den Ausweg in einer Selbstjusitz.

Das Drehbuch, das sich einerseits ganz auf die Gefühlslage des Opfers konzentriert, andererseits zugleich immer gängigen Kino-Regel folgt, weist dadurch einige Schwächen auf, bleibt fast immer vorhersehbar und neigt gelegentlich zu sprachlichen oder bildlichen Floskeln. Dennoch zeigt sich die Regie in Hochform, erzählt in rasanten Sequenzen, kontrastiert das Geschehen durch abwechslungsreiche Handlungsorte und zeichnet psychologisch fein die zahlreichen Nebenfiguren in präzisen Kurzauftritten. Diane Krüger als Katja bleibt (fast) 116 Minuten im Blick- und Bild-Mittel-Punkt und sie gestaltet diese Opferfigur sehr überzeugend duch starke Präsenz und nuanciertes Spiel - in Cannes erhielt sie dafür in diesem Jahr die goldene Palme als beste weibliche Darstellerin.

Fatih Akin hat mit filmischem Fingerspitzengefühl eine aktuelles Thema aufgegriffen und dabei jegliche vordergründige oder platte - politische wie menschliche -  Interpretation vermieden. Auch wenn dieser Film nicht ganz die Überzeugungskraft mancher seiner Vorgänger erreicht, besticht er sowohl duch sein kontroverses Thema und wie durch seine szenische Vitalität.

Poster/Verleih  Warner Bros. GmbH

zu sehen: Babylon Kreuzberg; CinemaxX Potsdamer Platz; Delphi Filmpalst und Delphi Lux; Eva Lichtspiele; Filmtheater am Friedrichshain; Hackesche Höfe Kino; Kino in der Kulturbrauerei;Passager Neukölln; UIC Colosseum; Yorck-Kino

Knallbunter Zirkus: 'Hänsel und Gretel' in der Deutschen Staatsoper***

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Kategorie: Theaterkritiken
Veröffentlicht: 12. Dezember 2017
Zugriffe: 159

HänselDer Zuschauerraum in der frisch renovierten Staatsoper glänzt in Weiß-Rot-Gold. Die Bühne dagegen  (einschließlich Proszenium und Orchestergraben) ist eine riesige, dunkle Höhle, voll bestückt mit winzigen, funkelnden Sternen. Im Hintergrund ein roter Theatervorhang, dahinter eine Leinwand, auf der zu Beginn der Dirigent als Video-Biild den Auftrittsapplaus des Publikums entgegennimmt, und danach sich allerlei überblendende, halb abstrakte Schwarz-Weiß-Zeichnungen abwechseln. Putzige Tiere hüpfen herein: eine große weiße Katze (mit Mäusen auf der Zunge), ein Huhn, ein Bär, ein winziger Frosch. Hänsel und Gretel, die sich singend und tanzend dazugesellen, gleichen lustigen Comic-Figuren: tragen den ganzen Abend über riesige, helle Schwellköpfe mit großen, beweglichen Kuller-Augen. Auch ihre dazwischen fahrende, zeternde Mutter Gertrud, die den Milchtopf aus Pappe umstößt und die Kinder in den Wald zum Beerensuchen jagt, gleicht einer grotesken Figur: mit kalkweiß geschminktem Gesicht, rotem Dutt und gleichfarbiger Riesen-Krinoline.

Regsseur und Ausstatter Achim Freyer schwört aller gewohnten, romantischen Märchenerzählung ab und beschwört stattdessen einen ostereierbunten Grotesk-Zirkus. Und dies im wörtlichen Sinn. Wenn Hänsel und Gretel im Wald ihren Abendsegen gebetet haben und von ihren vierzehn Englein träumen, dann erscheint ein peitschen- schwingender, dem Vater ähnelnder Zirkusdirektor mit winzigen Flügelchen auf dem grünberockten Rücken und lässt die putzigen Tierlein, die jetzt ebenfalls kleine Flügel tragen, um den Orchestergraben munter herum -paradieren. Eine schwarze Kreuz-Spinne tentakelt dazu hefigt in der Höhe. Auch das Knusperhäuschen und die dazugehörige Hexe zeigen sich in ungewohnter Erscheinung - statt Mandel und Lebkuchen wird ein rotes (Zucker-?)Herz angeknabbert und die böse Hexe erscheint als großer, blutroter Mund mit darüber gestülpter, dampfender Kaffetasse. Und als die Alte hinter dem Vorhang, auf den nun lodernde Flammen projeziert werden, verschwunden ist, hüpfen und tanzen die verzauberte, jetzt erlöste Kinderschar in bunten Strampelanzügen durch die sternenglänzende Bühnenhöhle und stimmen zusammen mit Hänsel. Gretel, den herbeieilenden Eltern und Tieren in den großen Schlußgesang ein  - eine fröhliche, leicht groteke, dico-bunte Bühnen-Show.

Auch Dirigent Sebastian Weigle darf sich in die folgende muntere Applaus-Ordnung einreihen, er hat geschickt das wuchtige Richard-Wagner- Orchester herab-gedimmt auf sängerfreundlichen Begleit-Ton und beschwingten Knusper-Walzer-Rhythmus. Die Gesangsrollen sind auf Grund der zahlreichen, dicht getakteten Vorstellungen doppelt besetzt, In den ersten Aufführungen waren Karin Wundsam und Elsa Dreißig das titelgebende Kinder-Paar: mit anmutigen Bewegungen und hellen, klaren Stimmen unter ihren weißen Schwell-Köpfen, die sie erst beim Schlußbeifall abnehmen durften.  Auch das übrige Ensemble einschließlich des hauseigenen Kinderchores  zeigte sich gutgelaunt und bestens in Form.

Eine typische Achim-Freyer-Produktion: ein farbiger, verspielter, schräger Bühnen-Zirkus, der Spaß macht, aber kaum berührt.

Engelbert Humperdinck´s Musik jedoch schildert eine andere Welt - nämlich die eines romantischen Märchens. Mit viel Gefühl und - vor allem - Herzlichkeit.

Foto: Monika Rittershaus / Deutsche Staatsoper Berlin

Premiere: 8.Dezember 2017, weitere Vorstellungen: 11./ 12./ 23./ 25./ 29. Dez.2017

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