ALI’s KRITIKEN
Theater- und Filmkritiken von Rainer Allgaier
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Im Sperrmuell erstickt: "Fidelio (1805)" in der Komischen Oper *

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Kategorie: Theaterkritiken
Veröffentlicht: 26. April 2010
Zugriffe: 4215

Die dunkle Buehne wird vonn einem riesigen Container beherrscht. Bauarbeiter in leuchtfarbenen Jacken entruempeln das Theater, Lampen werden abmontiert, der rote Samtvorhang abgenommen, blaue Abfallsaecke zu Tuermen gehaeuft und in den Container geworfen. Eine Saengerin im hellen Mantel klammert sich an eine Kostuempuppe...
Eigentlich eine huebsche Idee: ein Theater wird geschlossen, doch die Buehnengeister erwachen noch einmal zu Leben, spielen die Utopie eines fast unmoeglichen Neubeginns, Hoffnung, Traum und Realitaet durchdringen sich.
Doch der Regisseur Benedikt von Peter weiss diese Chance kaum zu nutzen. Stattdessen entfacht er einen theatralischen Dauerwirbel. Immer am bekannten Handlungsfaden entlang,  muellt er mit unzaehligen banalen Gags und faden Einfaellen die Grundidee zu - was bleibt, gleicht einer trashigen Mixtur aus Kostuemplunder, bewusster Schmieren-Klamotte und modisch-aktuellen Theater-Maetzchen. Florestan und Leonore in Rokoko-Anzuegen, eine quirlige Marzelline in beigen Jeans, Vater Rocco als prolliger Vorarbeiter mit Bauhelm und Don Pizarro mal in Lederjacke, mal mit Dreispitz und Trikolore. Alle sind immer gleichzeitig auf der sich langsam zumuellenden Buehne, Handlungslogik und Psychologie bleiben - wir befinden uns ja zwischen Traum und Realitaet! - ausser Kraft, und so beschaeftigt sich jeder mit dem, was dem Regisseur gerade so einfaellt: wenn Don Pizarro einem Soldaten befiehlt, die Ankunkt des Minister durch eine Trompetensignal vom Wachturm aus anzukuendigen, klettert promt ein Musiker mittels einer Leiter in die Proszeniumsloge des 1.Rangs; wenn Marzelline im Hinblick auf die Heirat mit Fidelio von Mutterfreuden singt, stopft sie sich gleich einen dicken Bauch unterm Pullover aus. Florestan kriecht wie in einem Horror-Film unter Muelltueten hervor, Buehnennebel wabbert, Soldaten gleichen trotteligen Zinnfiguren, das Volk traegt Plakate mit ("Wir sind das Volk") und ohne Aufschrift, Reichsadler und DDR-Wappen umher und am Schluss trabt ein echtes Pferd mit Kutsche, in der der Minister altvaeterlich trohnt, quer ueber die Buehne. Frei nach dem Motto: Tiere und Kinder beleben das Theater!
Gespielt wird - wie der Titel sagt - Beethovens "Fidelio" in der Ur-Fassung von 1805, die u.a. wegen dramaturgischen Ungeschicklichkeiten und ihrer Laenge durchfiel  (heute wird allgemein die revidierte Fassung von 1814 bevorzugt). Ausser dass der Abend sich dadurch auf ueber drei Stunden Spieldauer laengte, hat die Urfassung kaum neue Qualitaeten erkennen lassen - leider auch musikalisch nicht. Zumal Generalmusikdirektor Carl St.Clair nur laut und unflexibel dirigierte - ein Beethoven - entsprechend der szenischen Einrichtung - wie aus Plaste und Elaste.
Von den Saenger der Hauptpartien vermochte nur Will Hartmann als baritonal grundierter Florestan zu ueberzeugen, die Uebrigen erreichten allenfalls das Niveau eines mittleren Stadt-Theaters. (Leonore: Ann Petersen, Rocco: Jens Larsen, Marzelline: Maureen McKay, Don Pizarro: Carsten Wittmoser).
Noch zehrt die Komische Oper von ihrem Ruf als bedeutendes Musiktheater, doch langsam hoehlen lasche Produktionen wie dieser "Fidelio" das Ansehen des Hauses immer mehr aus:  der neue Intendant muss sich einiges einfallen lassen.

Foto: Komische Oper

Bunt und optimistisch: "Neukoelln Unlimited" von Agostino Imondi und Dietmar Ratsch ***

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Kategorie: Filmkritiken
Veröffentlicht: 15. April 2010
Zugriffe: 4660
Dokumentarfilm ueber die libanesische Familie Akkouch, die gegen ihre drohende Abschiebung kaempft.  Seit knapp 20 Jahren wohnt die - inzwischen vom Vater verlassene - Familie in Neukoelln , die kraenkliche Mutter lebt mit ihren sechs Kindern von der Sozialhilfe.
Im Mittelpunkt des Films stehen die Tochter Lial (19), die sich in der Ausbildung befindet, sowie die beiden aelteren Soehne Hassan (18), der sich aufs Abitur vorbereitet, und der 15jaehrige, immer wieder die Schule schwaenzende Maradona, das Sorgenkind der Familie.
Lial und Hassan versuchen auf Behoerden und bei sozialen Organisationen die Abschiebung zu verhindern, ihre begrenzten Aufenthaltsgenehmigungen zu verlaengern und die deutsche Staatsbuergerschaft zu erwerben. 2003 war die ganze Familie in schon einmal in den Libanon abgeschoben worden (im Film als gezeichnete Rueckblende zu erleben), aber nach kurzer Zeit wieder zurueckgekehrt.
Alle Kinder sind in Neukoelln aufgewachsen und haben sich - wie auch die Eltern - trotz ihres moslemischen Glaubens voll in die deutsche Gesellschaft integriert. Dies vor allem durch ihre musischen Taetigkeiten als Rapper und Hip-Hop-Taenzer. Zugleich kann Hassan mit einer Break-Dance-Gruppe in Berlin wie auf Gastspielreisen (u.a. in Paris) durch diese Shows einiges Geld verdienen, das der gesamten Familie zu Gute kommt, waehrend der wie ein kleiner Wirbelwind tanzende Maradona vom Fernsehn einen Talente-Vertrag bekommt. Und Lial lernt und verdient  zusaetzlich bei einem BoxerPromoter im Buero.
Der Film verzichtet auf jeden Off-Kommentar und laesst die drei Geschwister ihre Geschichten erzaehlen und nachspielen: frisch und unverkrampft;  die sehr sanftmuetig wirkende Mutter haelt sich dagegen mit ihren noch kleinen Kindern ganz im Hintergrund.
Zahlreiche, effektvoll-geschnittenen Tanz-und Musikszenen geben dem Film schmissigen Drive, die Dialog- und nachgespielten Szenen zeigen sehr deutlich:  einerseits die kaempferische Intelligenz der beiden aelteren Geschwister wie ihre vollkommenen Integration in die deutsche Gesellschaft, andererseits bieten sie - ohne zu ueberzeichnen - Einblicke in die meist freundliche aber umstaendliche und undurchschaubare Buerokratie der Berliner Behoerden.
Aeusserlich zeigt sich Neukoelln hier von einer attraktiven, gross-staedtschen Seite, seine Haeuser und Plaetze sind wie auf Hochglanz fotografiert, Schmuddeliges oder Randfiguren der Gesellschaft kommen nicht vor, der "soziale Brennpunkt" spielt kaum eine Rolle.
Die flott geschnittene Dokumentation kozentriert sich ausschliesslich auf Probleme der Familie Akkouch, sowohl inner-familiaer wie auf ihren Kampf um den Aufenthalts-Status, ohne zu verallgemeinern. Am (gluecklichen) Ende triumphiert eine grosse Multi-Kulti-Froehlichkeit, die die rauhe Wirklichkeit scheint allzu rosig gefaerbt.
Dennoch : ein in seiner unpathetischen Menschlichkeit symphatischer Film - ein Neukoelln trotz aller Probleme zum Wohlfuehlen.

Foto/ Verleih: GMfilms

zu sehen: Broadway; Filmtheater am Friedrichshain; Central Hackescher Markt; Neues Off; Movimanto; Passage; Sputnik u.a.


Edle Klamotte(n): "A Single Man" von Tom Ford **

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Kategorie: Filmkritiken
Veröffentlicht: 12. April 2010
Zugriffe: 4719

Das Film-Debuet des amerikanischen Mode-Designers Tom Ford  -  ebenso hochgelobt wie seine diversen Fashion-Collections. Es handelt sich dabei um die ziemlich buchstabengetreue Verfilmung des Romans "Der Einzelgaenger" (1964) von Christopher Isherwood, der einst durch seine Erzaehlungen "Goodbye to Berlin" (1939) bekannt und durch deren Verfilmung ("Cabaret", 1972) weltberuehmt wurde.
 "A Single Man" spielt in 1962 Los Angeles. Der College Professor George Falconer (Colin Firth)  hat seinen juengeren Lebensgefaehrten Jim (Matthew Goode),  mit dem er 16 Jahre gluecklich zusammenlebte, durch einen Autounfall verloren. Verzweifelt denkt er an Selbstmord, von dem ihn auch seine langjaehrige Freundin Charley (Julianne Moore)  nicht abhalten kann. Erst die etwas aufdringliche Annaeherung seines jungen, sexuell attraktiven Studenten Kenny (Nicholas Hoult)  bringt ihn von seinem Vorhaben ab. Doch in diesem neuen, hoffnungsvollen Moment ereilt ihn ein toedlicher (Herz-)Schlag.
Tom Ford hat diese etwas betuliche Schwulen-Romanze mit allen technisch-formalen Raffinessen des aktuellen Hollywood-Kinos visuell effektvoll umgesetzt. Kunstvoll-ausgeleuchtete Tableaus, elegante Kostueme in Stil der 60er Jahre, geschickte Schnitte und farbliche ausgekluegelte Abstufungen der Bild-Sequenzen, dazu zwei herausragende Darsteller (Colin Firth - natuerlich in perfekt sitzenden Anzuegen der Modemarke Tom Ford - und Julianne Moore), ein paar Dokumentar-Aufnahmen und zeittypische Musik-Einspielungen - doch all der intellektuelle und aesthetische Aufwand vermag ueber die anaemische Story und ihre larmoyant vorgetragene Attituede kaum hinwegzutaeuschen - eine kunstgewerbliche Love-Story im edlen und teuren Schwulen-Milieu der kalifornischen Upper-Class. Eine geschmaecklerisch-schicke Schaumschlaegerei.

Foto/Verleih: Senator

zu sehen: CineStar Sony Center (OV); Hackesche Hoefe (OmU); Odeon (OmU); CinemaxX Potsdamer Platz; Titania Palast; Delphi; International; Filmtheater am Friedrichshain; Kulturbrauerei; Yorck


Theatralische Suada: "Rechnitz" - Gastspiel aus Muenchen im DT ****

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Kategorie: Theaterkritiken
Veröffentlicht: 11. April 2010
Zugriffe: 4293

Innerhalb der  "Autorentheatertage"  des Deutschen Theaters (8.-17.April 2010) - eine kleine Festspielreihe, die der neue Intendant Ulrich Khuon aus Hamburg mitgebracht hat - gastierten (unter anderen) die "Muenchner Kammerspiele" mit der Urauffuehrungs-Inszenierung des Stueckes "Rechnitz (Der Wuergeengel)" von Elfriede Jelinek aus dem November 2008.
Das titelgebende Schloss Rechnitz liegt an der oesterreichisch-ungarischen Grenze. Im Maerz 1945 fand dort - in Anwesenheit des graeflichen Besitzerpaares Batthyany-Bornemisza - ein "Gefolgschaftsfest" von SS-Offizieren, Gestapo-Fuehrern und einheimischen NS-Getreuen statt, in dessen Verlauf 180 juedische Zwangsarbeiter ermordet wurden, die fuer den Bau eines "Suedostwalls" gegen die herannahenden russische Armee rekrutiert worden waren. Die Leichen wurden allerdings nie gefunden und nach dem Krieg (und nach der Flucht der Besitzer in die Schweiz) herrschte jahrelang Schweigen ueber Fest und Massaker von Rechnitz.
Nobelpreistraegerin Elfriede Jelinek hat um diese nie ganz aufgeklaerten Vorfaelle einen langen, unablaessig-fliessenden Wort-Teppich geknuepft und ihn sogenannten "Boten" in den Mund gelegt: ebenso spielerisch-witzig wie boese-satierisch. Und den jeweiligen Inszenatoren viel freien Raum gelassen, diese gewaltigen Wort-Bloecke theatralisch umzusetzen.
Regisseur Jossie Wieler hat sich fuer seine Muenchner Urauffuehrung von seiner Ausstatterin Anja Rabes einen etwas altertuemlichen, holzgetaefelten Raum (mit Hirschgeweih) einrichten lassen, dessen Waende aber drehbar sind und den Auftrittenoder Abgaenge der fuenf Schauspieler dienen, die als Boten weitschweifig variierend und kommentierend vom Nazi-Fest und seiner gastgebenden Graefin, die in Anlehnung an den Bunuel-Film als Wuergeengel charakterisiert wird,  berichten. Wortspiele mal verraetselt, mal kalauernd, mal ironisch, mal auch auf Heutig-Aktuelles anspielend, doch immer flott und grotesk serviert. Erst tragen die beiden Damen (Katja Buerkle, Hildegard Schmahl) und die drei Herren (Andre Jung, Hans Kremer. Steven Scharf) Abendgarderobe, ziehen sich dann bis auf die Unterwaesche aus, um dann in moderne Freizeitklamotten zu schluepfen - eine komisch-karikierende Party - beherrscht von einem ununterbrochenen, wortglizerndem Redeschwall. Und unter dieser geschmeidig-schicker Oberflaeche: die boese Abrechnung der Jelinek mit der faschistischen Vergangenheit und ihrem Weiter- oder Wiederaufleben in ihrer hass-geliebten Heimat Oesterreich.
Keine dramatische Auseinandersetzung realer Buehnenfiguren - sondern ein Oratorium assoziationsreicher Wortketten - glaenzend in Szene gesetzt - aber von begrenzter Wirkung:
wer nicht mit juengerer, deutscher Geschichte und ihren gesellschafts-politischen Auswirkungen vertraut ist, versteht ueber weite Strecken hin nur "Bahnhof".

Foto: E.Jelinek,2004/ aus Wikipedia

Knalliger Reisser: "Oberst Chabert" in der Deutschen Oper ***

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Kategorie: Theaterkritiken
Veröffentlicht: 29. März 2010
Zugriffe: 4171

Wer kennt Hermann Wolfgang von Waltershausen? Nur die wenigstem Musikfreunde duerften den Namen schon einmal gehoert haben. Waltershausen, 1882 in Goettingen geboren, schrieb unter anderem 5 Opern, war hauptsaechlich als Musikpaedagoge in Muenchen taetig, wo er auch 1954 starb. Obwohl eher konservativ und national gepraegt, wahrte er Distanz zum Nationalsozialismus und verlor darum seine offizielle Stellung als Leiter der Muenchner Musik-Akademie 1933. Seine Werke wurden aber nie verboten und so konnte sein Musikdrama "Oberst Chabert" (uraufgefuehrt 1912 in Frankfurt am Main) noch im Maerz 33 seine Berliner Erst-Auffuehrung an der damaligen Staedtischen (heute: Deutschen) Oper erleben. Doch nach 5 Auffuehrungen verschwand das Werk vom Spielplan: die jetzige neue Einstudierung am gleichen Haus war deshalb fuer das Publikum eine echte, ueberraschende Entdeckung.
Von Waltershausen hat sein Libretto selbst geschrieben:  Vorlage war Balzacs beruehmte, sozialkritische Novelle vom napoleonischen Oberst Chabert, der nachdem er vermisst und fuer tot erklaert wurde, einige Zeit spaeter nach Paris zurueckkehrt und seine Frau wie sein Vermoegen in den Haende eines Anderen vorfindet. Daraus macht der ganz in der spaetromantischen Wagner-Nachfolge stehende Komponist einen psychologischen Thriller - eine melodramatische Dreiecks-Geschichte zwischen Bariton (Oberst Chabert), dem Sopran (seiner ehemaligen Frau Rosine) und dem Tenor (der neue Gemahl Rosines). 3 kurze Akte mit letalem Doppel-Selbstmord-Ende.
Das gross besetzte Orchester malt farbig auftrumpfende Leidenschaften, einen sueffig stroemenden Melos fast ohne Einbeziehung neuerer musikalischer Errungenschaften: zwar klangpraechtig, effektvoll, aber auch etwas aeusserlich, epigonenhaft, altvaeterlich.
Die Deutsche Oper bot zwei konzertante Auffuehrungen an. Konzertant heisst in diesem Fall: das kraftvoll aufspielende Orchester unter Jacques Lacombe sass wie eh und je im Graben, die sechs Solisten in dunklen Anzuegen standen auf der Vorderbuehne vor einer grossen Leinwand, auf die schwarz-weisse Video-Filme projeziert wurden, meist die Gesichter der Saenger in Grossaufnahme. Dieses hautnahe Minenspiel bot einen klugen zusaetzlichen Reiz.
Ueberragend war der daenische Bariton Bo Skovus in der Titelrolle, auch die Nebenrollen (Simon Pauly, Stephen Bronk) waren ausgezeichnet besetzt, waehrend Manuela Uhl (Rosine) und Raymond Very (ihr neuer Gemahl) zwar leidenschaftlich agierten und sangen, aber einiges an stimmlicher Schoenheit und Leuchtkraft vermissen liessen.
Dennoch eine interessante Wiederentdeckung - ob diese Oper aber fuers Repertoire tauglich waere, darf bezweifelt werden.

Foto: Literaturarchiv und Bibliothek Muenchen


Geballtes Elend: "Precious" von Lee Daniels ***

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Kategorie: Filmkritiken
Veröffentlicht: 28. März 2010
Zugriffe: 4635

Precious (die Kostbare) heisst eigentlich Clareece, ist ein uebergewichtiger Teenager im Harlem der 1980er Jahre. Sie kann kaum lesen und schreiben, wird von ihrer Mutter, die uebel gelaunt den ganzen Tag vor dem Fernseher ihre Sozialhilfe verfuttert, drangsaliert, gedemuetigt und zu Hausarbeiten gezwungen. Vom Vater wurde Precious schon als Kind missbraucht, mit 12 Jahren bekam sie ein Kind von ihm, das am Down-Syndrom leidet und bei der Grossmutter untergebracht ist. Jetzt, im Alter von 16 Jahren,  ist sie erneut schwanger (wieder vom inzwischen verschwundenen, Aids-kranken Vater), fliegt deswegen von der Schule, kommt aber durch Vermittlung der Rektorin in einer alternativen Schule fuer Problemkinder unter. Dort trifft sie auf eine verstaendnisvolle Lehrerin, die ihr nicht nur - muehsam - lesen und schreiben beibringt, sondern auch ein allmaehlich sich festigendes Selbstbewusstsein, so dass Precious sich schliesslich  -samt ihren beiden Kindern-  von der schrecklichen Mutter loest und ein eigenstaendiges Leben beginnt.
Der Film des farbigen Regisseurs Lee Daniels basiert auf einem in den USA erfolgreichen Roman ("Push" von Sapphire), der sehr offen und krass das kurze Leben dieser nach realen Vorbildern erfundenen Figur ( in der "Ich"-Form) schildert. Zwar wird vieles gemildert (auch der "optimistische" Schluss), dennoch wirkt der brutale Naturalismus oft schockierend. Und in seiner Anhaeufung von menschlichen Demuetigungen und sozialem Elend stoesst er an die Grenzen des Glaubwurdigen. Doch der geschickte  Schnitt (bunte Traum-Sequenzen, in denen Precious sich als Disco-Queen oder Model-Star sieht, mischen sich raffiniert mit realen Elends- und Pruegel-Szenen in der verwahrlosten Wohnung oder auf den verschmutzten Strassen) und die Intensitaet der Darsteller (vor allem Gabourey Sidibe in der Titelrolle) ueberspielen die Schwaechen des Drehbuchs, bieten Einblicke in ein schwarzes, subkulturelles Milieu wie es so brutal im Kino selten gezeigt wird.
Der Film ist umstritten: der Vorwurf rassistischer Klischees wurde von einigen (schwarzen) Kritikern in Amerika erhoben, andererseits zeichnete das ( ueberwiegend weisse) Hollywood-Etablissement  ihn mit sechs Oscar-Nominierungen aus, und die hervorragende Darstellerin der Mutter, Mo'Nique, erhielt dann auch die goldenen Statue als besten Nebendarstellerin.
Die Diskussion um die Darstellung der Farbigen im grossen Kino ist noch lange nicht abgeschlossen. Aber vielleicht bringt "Precious" sie ein gut' Stueck voran.

Foto/ Verleih: Prokino

zu sehen: CineStar Sony Center OV;  Hackesche Hoefe OmU;  Odeon OmU;  Broadway; CinemaxX Potsdamer Platz;  Filmtheater am Friedrichshain;  International; Kulturbrauerei;  Neue Kant Kinos;  Yorck


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