Disco-Horror-Picture-Show: "Die Fledermaus" in der Staatsoper *
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Doch dann: der Absturtz in die Disco-Hoelle. Knallbuntes Neon-Geflimmere und wild hopsende Punker mit Anfuehrer Orlowsky in zerissenen Stumpfhosen - so wie sich der kleine Moritz in der Provinz das suendige Gross-Stadt-Treiben vorstellt. Peinlich. Dazu konventionelles Operetten-Geschunkel mit Chor, vorwiegend an der Buehnenrampe. Am Schluss dann eine sich hinziehende Gefaengnissszene mit einen prolligen Waerter in Trainingshosen, der nebenberufich mit DDR-Devotionalien handelt, etwa der Unterwaesche von Margot H.! (dennoch ueberzeugend hingeklotzt von Michael Mertens). Da hilft dann auch das lautstark geschmetterte Champagner-Finale nichts mehr: aus dem Strausschen Edelgetraenk wird schaler Sekt.
Das Verblueffende: wie kann ein rennomierter Regisseur (Christian Pade) im ersten Akt ein locker-witziges Komoedien-Haendchen beweisen, um dann im Folgenden in uninspiriert-modischen Klamauk abzurutschen ?
Schon in der Ouvertuere passen sich der souveraene Gast-Dirigent Zubin Metha und die Staatskapelle dieser neuen berliner Lesart an: statt Wiener Schmaeh, preussisch-zackiger Drill - durchaus hoerenswert, auch wenn die subtilen Nuancen der Musik im Laufe des ueber dreistuendigen Abends in droehnender Lautstaerke untergehen.
Saengerisch triumphiert Christine Schaefer als kesse Adele (aus Reinickendorf) mit gloeckchenklaren Koloraturen: und kehrt damit bravouroes in ihr eigentlches Soubretten-Stimmfach zurueck. Manfred Gantner spielt den (baritonalen) Eisenstein als etwas braesig-neureichen Spiesser, waehrend Silvana Dussmann als wienerisch-mollerte Rosalinde durch schrille Trompeten-Toene verschreckt. Das uebrige Ensemble (u.a. Roman Trekel, Stephan Ruegamer, Jochen Schmeckenbecher) und der zum gelangweilten Herumstehen verurteilte Chor: gefaellige Routine.
"O je o je, wie ruehrt mich dies!" Vor einiger Zeit bescherte die "Lustige Witwe" der Staatsoper eine buchstaeblichen Bruchlandung, jetzt geistert die "Fledermaus" als trashig-schriller Vampir durch's baufaellige Knobelsdorff-Gemaeuer... "Gluecklich ist, wer vergisst".
Foto: Staatsoper /(c)Ruth Walz
Effektvoller Leerlauf: "Eonnagata" im Haus der Berliner Festspiele *
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D'Eon zeichnete sich besonders dadurch aus, dass er laengere Zeiten seines Lebens in Frauenkleider auftrat und seine Umgebung nie wusste : war er ein Mann mit der Vorliebe, sein Geschlecht zu wechseln, oder war er eventuell eine Frau, die als Mann aufgewachsen und erzogen war?
Auf der dunklen Buehne schluepfen alle drei Darsteller - Guillem, Maliphant, Lepage - abwechselnd in die verschiedenen Rollen des Chevaliers, ohne dass sich daraus eine besondere Erkenntnis ergaebe. Hinzu kommen einige Szenen im Stil des japanischen Kabuki-Theaters (warum bloss?), wo Frauen durch Maenner dargestellt werden - Onnegata wird diese Spiel-Tradition genannt, und aus der Zusammenziehung der beiden Woerter "Eon" und "Onnegata" erklaert sich auch der seltsame Titel dieser pausenlosen 90-Minuten-Collage aus Tanz-, Fecht- und Spiel-Aktionen.
Raffiniert geschnittene Kostueme, die unterschiedliche Zeiten (vom Rokoko bis heute) zitieren, und eine ausgetuefftelte Lichtregie zaubern oft verblueffende Buehnen-Stuationen und reizvolle Effekte, insgesamt aber bleibt das Spektakel wenig einsichtig, wirkt nach den ersten, verblueffenden Auftritten ziemlich langatmig und vermag kaum groesseres Interesse fuer das historische Zwitterwesen zu erwecken. Sich dehnende Sprechszenen (teils englisch, teils franzoesisch) scheinen dilettantisch arrangiert und vergroessern nur die Langeweile. Und alle drei Kuenstler sind in ihrer jeweiligen Profession reichlich unterfordert.
Ein ambitioniertes Tanz-Theater-Projekt endet so in aeusserlichen Effekten, und praesentiert statt theatralischer Magie hochgestochenes Kunstgewerbe.
Foto: Erick Labbe / Berliner Festspiele
Gastspiel innerhalb der Reihe: spielzeit/europa vom 12.bis 15.11.2009
Ausgenuechtert: "Herr Puntila und sein Knecht Matti" im Deutschen Theater ****
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Die Neuinszenierung am gleichen Ort - eine Uebernahme vom Thalia-Theater Hamburg - haette kontrastreicher kaum ausfallen koennen. Aus einem deftig-ausladenden Volksstueck wird ein minimalistisches Kammerspiel, aus einem sozial-grundierten Lehrstueck, das expressive Portraet eines vielfach Berauschten.
Der Regisseur Michael Talheimer hat - wie bei ihm gewohnt - die volkstuemlich-ausschweifende Komoedie stark gekuerzt, viele Personen und Handlungs-Episoden gestrichen, vor allem aber alle gesellschafts-politischen Sentenzen beiseite- oder ins Allgemein-Menschliche weg-gespielt.
Puntila, wie ihn der vorzuegliche Norman Hacker spielt, ist kein fieser Kapitalist, der nur im Suff menschliche Zuege traegt, sondern eine zwiespaeltige, etwas raetselhafte Figur, zwischen Gut und Boese merkwuerdig schillernd. Noch jugendlich im Auftreten, eher dem anarchischen "Baal" gleichend als einem monstroesen Suff-Kapitalisten a la Dix. Samuel Beckett laesst gruessen.
Puntila ist in dieser Deutung die beherrschende Zentralfigur, alle anderen Personen treten zuueck, werden ausschliesslich auf ihn bezogen:
Matti (Andreas Doehler) bleibt so ein blasser, zurueckhaltender, eher nuechterner Stichwortgeber als ein klassenbewusster Gegenpart. Auch Puntilas Tochter Eva (Katrin Wichmann) ist weniger die auf ihren sozialen Stand eingebildete, hochnaessige Pute, als eine kecke, etwas spleenige junge Frau, die vor allem auf die Durchsetzung ihrer persoenlichen Interessen achtet.
Wenn Puntila in der (in dieser Auffuehrung) letzten Szene, den fiktiven Hatelmaberg besteigt und das rauschhafte Dasein in der Natur heftigst bejubelt, hat sich sein Leben zwischen Realitaet und Wahn, zwischen Wunsch und Einbildung erschoepft. Matti schliesst ihm die Augen und verschwindet stumm im Hintergrund.
Ein hoch-intelligentes Kammerspiel, wenn auch sproede und nicht leicht zugaenglich. Selbstverstaendlich verzichtet Talheimer auch auf alle Folklore, lediglich ein paar stumme Slapsticks vor schwarzen oder gold-schimmernden Waenden (Dreh-Buehne:Henrik Ahr) erinnern noch an Brechts volkstuemlich-saftiges Lehr-Theater: am gleichen Ort vor 60 Jahren.
Foto: Katrin Ribbe/DT
Hass zwischen Baumwollfeldern: "Shotgun Stories" von Jeff Nichols ****
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An seinem Grab treffen sich - zu Beginn des Films - die Halbbrueder: als Son seinen toten Vater schmaeht und den Sarg bespuckt, beginnt sich eine Hass- und Gewalt-Spirale zwischen den jungen Maennern langsam hochzuschrauben, die zum Tod zwei der Brueder fuehrt. Erst als Kid die Sinn- und Ziellosigkeit dieser primitiv-brutalen Verhaltensweisen - mehr intuitiv als intellektuell - erkennt, sein zuvor gekauftes Gewehr vor den anderen beiseite legt, scheint sich die Familienfeindschaft - zumindest unter den ueberlebenden Bruedern - zu beruhigen...
Diese fast archaische Story, die viel mit dem amerikanischen Western zu tun hat, zeigt der junge Regisseur Jeff Nichols (31) nicht als Action-Thriller, sondern als ruhig-dahinfliesende, epische Erzaehlung zwischen weiten Landschaften und kargen Dialogen. Die endlosen Baumwollfelder oder die riesigen Fischteiche sind keine "schoenen" Landschaften, wirken eher trostlos und verlassen, spiegeln jedoch die muehselig-harte Arbeit, mit der die dort wohnenden Menschen ihren Lebensunterhalt erwerben muessen. Armut,Verbissenheit, Hass und latente Gewalt scheinen vor diesem Hintergrund unabwendbar. Nichols beschoenigt nichts, beobachtet wie sich die Gewaltausbrueche langsam hochschaukeln - aber er zeigt sie nicht im Bild - stattdessen lange Schwarzblenden. Die - auch in kleinen Nebenrollen - hervorragenden Schauspieler ueberzeugen durch ihre natuerliche Praesenz, sind Typen und Individuen zugleich.
Ein in seiner sproeden, praezisen Erzaehlkunst beeindruckendes Beispiel fuer eine andere, rauhe Seite Amerikas, fuer ein unabhaengiges Kino jenseits von Hollywood, fuer filmisch frische Impulse abseits der intellektuellen Metropolen.
Foto/Verleih: Fugu Verleih
zu sehen: fsk (OmU); Hackesche Hoefe (OmU)
Elegantes Seelendrama: "Romeo et Juliette" im Staatstheater Cottbus****
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Gounod und seine Librettisten Jules Barbier und Michel Carre folgen zwar weitgehend der beruehmten Shakespeare-Tragoedie, setzten aber andere Akzente. Das Liebespaar steht beherrschend im Zentrum, Neben-Handlungen und -Figuren sind gestrichen oder verknappt; Vater Capulet repraesentiert allein die zwei verfeindeten Familien, Tybald's Tod erfolgt fast nebenbei, - dafuer bekommt Romeo's Diener ein sehr huebsches kleines Couplet - und auch Pater Laurent tritt nur kurz (und soweit wie es der Handlungsablauf erzwingt) in Erscheinung. Die gesellschaftlichen Momente spielen keine wesentliche Rolle, es geht vor allem um die Gefuehle der jungen Liebenden, die in vier grossen, weitausschwingenden Duetten ihre Emotionen verstroemen - wobei Gounod den beiden im Gegensatz zu Shakespeare noch eine letzte lyrische Verklaerung im gemeinsamen Anblick des Todes goennt: toujours l'amour.
Intendant Martin Schueler laesst die Story in leicht stilisierten, geschickt ausgeleuchteten Bildern ablaufen. Ein paar Requisiten deuten die jeweiligen Raeume an - Ballsaal,Strasse,Kirchengruft - , die Kostueme sind elegant, aber zeitlos: dunkle Roben fuer die Damen, schwarze Anzuege fuer die Herrn - nur Julia erscheint in leuchtendem Rot oder strahlendem Weiss. Dazu eine klug-ausgefeilte Personenregie - so vital, beweglich und ueberzeugend sieht man Saenger selten gefuehrt, wobei die Koerpergestik ganz aus dem musikalischen Geschehen heraus entwickelt wird - ob es sich um effektvolle Chor-Auftritte handelt oder die intimen Begegnungen des Liebespaares.
Auch musikalisch ueberzeugt die Auffuehrung, die ueberwiegend in franzoesischer Sprache gesungen wird - was dem spezifischen Klang der Musik sehr zu Gute kommt. Nur die Rezitative bleiben Deutsch - ein Zugestaendnis an's laendliche Publikum ?
Chef-Dirigent Even Christ und das Orchester musizieren stehts geschmeidig und flexibel, machen das emotionale Drama klangsinnlich erfahrbar. Chor und Solisten gestalten mit unterschiedlichem Geschick, aber insgesamt zutreffend ihre jeweiligen Rollen.
Hervorragend aber Anna Sommerfeld, eine temperamentvolle, mehr dramatische als lyrische Julia, und Jens Klaus Wilde, ein Romeo mit schoenem, hell timbriertem franzoesischen Tenor-Klang. Ihr Spel, ihre Arien und Duette werden vom Publikum zu Recht mit grossem Beifall gefeiert.
Ein anregend-sehenswerter Opern-Abend im huebschen Jugendstil-Theater von Cottbus.
Foto: Staatstheater Cottbus/Marlis Kross
naechste Vorstellungen: 31.10. / 14.11. / 25.12. / 13.1.
Wohltoenender Historienschinken: "Simon Boccanegra" in der Staatsoper ***
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Doch am Ende der dreistuendigen Premiere macht sich leise Entaeuschung breit: zwar bekommt Domingo, der hier erstmals im Bariton-Fach debutiert, die verdienten "standing ovations", werden auch die uebrigen Saenger und Maestro Barenboim reichlich mit Bravi eingedeckt - das italienische Regieteam jedoch muss kraeftige und andauernde Buh-Stuerme ueber sich ergehen lassen.
Nun ist Verdi's "Simon Boccanegra" kein theatralischer Selbstlaeufer wie "Trovatore" oder "Traviata", sondern ein sehr komplexes, in die (musikalische) Zukunft weisendes Musikdrama. Eine Vater-Tochter-Geschichte vor zeit-historschem Hintergrund, menschlich beruehrend, politisch sehr pessimistisch. Der plebeiische Simon Boccanegra wird im 14.Jahrhundert vom Volk zum Dogen von Genua bestimmt, doch seine Bemuehungen um Aussoehnung der Klassen scheitert ebenso wie seine Liebe zu einer Adligen.
Der italienische Regisseur Federico Tiezzi arrangiert das Geschehen als eine Abfolge historischer Bilder: finstere Mauern und goldenes Senats-Gestuehl vor stuermisch-dunkler (Video-)Meeres-Gischt. Elegant-farbige Kostueme im Stil des spaeten 19.Jahrhunderts, allerlei theater- und kunsthistorische Anspielungen - aber ohne jede Personenfuehrung. Dafuer Stand- und Spielbeinwechsel, pathetisch erhobene Arme. Bieder-langweilige Konvention, ohne Sinn fuer die intellektuelle Brisanz der Oper..
Die Saenger konzentrieren sich deshalb ganz auf den stimmlichen Ausdruck - allen voran der bewundernswurdige, fast 70-jaehrige Placido Domingo. Mag manche Intonation nicht ganz rein sein, einige Toene nicht ganz sauber - Domingo gestaltet saengerisch und darstellerisch einen hoechst glaubwurdigen Boccanegra von enormer Buehnenpraesenz, strahlend in der Hoehe, satt in der Tiefe - eine exzellente Leistung. Neben ihm ein vorzuegliches Solistenensemble: Anja Harteros als wiedergefundene Tochter Amelia (staehlerne Hoehen, wunderbare Mittellage), Kwangchul Youn als finsterer Gegenspieler Fiesco (mit profundem Bass), Fabio Sartori in der Rolle von Amelias Liebhabers Gabriele Adorno (kraftvoller Tenor, aber aeusserlich sehr un-attraktiv) sowie Hanno Mueller-Brachmann als gift-mordender Schurke Paolo (mit sattem Timbre).
Daniel Barenboim leitet die klangschoen spielende Staatskapelle vorzueglich, grundierte die Partitur mit dunkel-gluehenden Farben und verbindet einducksvoll die intim-psychologischen Momente mit den machtvoll-ausladenden Chorszenen (auch wenn am Premierenabend manches zu laut ausfaellt).
Ein grosser - wenn auch kein aufregender - Abend in der Staatsoper, leider nur musikalisch.
Foto: Staatsoper/Monika Rittershaus